Brückenschläge – Informatik und Musikwissenschaft im Dialog

Hauptsymposion im Rahmen der Jahrestagung 2019 der Gesellschaft für Musikforschung an der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold

Termin: 24.09.2019
Ort: Universität Paderborn
Konzept und Leitung: Prof. Dr. Andreas Münzmay/Prof. Dr. Joachim Veit

Programmübersicht (PDF)

Im Zeichen der immer stärker in die Veränderungen durch den vielbeschworenen digitalen Wandel einbezogenen Geistes- und Kulturwissenschaften kooperieren auch die Disziplinen Informatik und Musikwissenschaft mit zunehmender Intensität. Sie treten in einen methodischen Dialog über Fragestellungen etwa im Bereich der Semantik, Modellierung, Kodierung, Annotation und Analyse von Daten, der Automatisierung und des Machine Learning, der Musik-/Medieninformatik, der Visualisierung von Erkenntnissen und der Schaffung neuer Arbeitsumgebungen. Dies führt auch zu Versuchen einer neuen Verortung beider im forschungspolitischen Raum.

Das Symposium versammelt Vertreterinnen und Vertreter beider Disziplinen auf Augenhöhe rund um solche Querschnittsthemen und bezieht dabei in besonderer Weise Kolleginnen und Kollegen der Paderborner Informatik ein, die durch die Zusammenarbeit im Zentrum Musik – Edition – Medien (ZenMEM) mit Fragestellungen der Musikwissenschaft vertraut sind. So soll der digitale Umgang mit dem Gegenstand Musik aus beiden Blickwinkeln beleuchtet und auch die Frage, welche Forschungsinteressen beide Seiten in einer solchen Verbindung verwirklichen könnten, thematisiert werden. Vorgesehen sind vier thematische Panels, jeweils bestehend aus zwei bzw. drei Vorträgen (Tandems aus informatischer und musikwissenschaftlicher Sicht) und einer anschließenden gemeinsamen Diskussion:

A.      Fachhistorische Perspektiven                      

Abseits des Music Information Retrieval (MIR) und einiger Spezialbereiche der systematischen Musikwissenschaft waren beide Disziplinen sich bisher eher fremd. Das gilt in mancher Hinsicht wohl nach wir vor für das Verhältnis Informatik – Geisteswissenschaft generell. Blicke in die Historie beider Fächer sollen aufzeigen, wo Verbindungslinien entstanden, welche Voraussetzungen dabei zu erfüllen waren, welche gegenstandsspezifischen Modellierungsansätze Erfolg versprachen und inwieweit diese Arbeit auf die Fachwissenschaften rückwirkte oder welche Probleme für die Zusammenarbeit sichtbar wurden. Ziel dieses Panels ist eine wissenschaftshistorische Diskussion des Selbstverständnisses und der Fragestellungen beider Seiten sowie insbesondere des wechselseitigen Interesses füreinander.

B.      Interaktion                                                        

Wenn die Begriffe „Digitalität“ und „Musikwissenschaft“ in den vergangenen Jahren stark mit den Veränderungen im Bereich des Editions- und Publikationswesens in Verbindung gebracht wurden, so stellt dies eine unzulässige Verengung dar, wie schon der Verweis auf die lange (und auch in musikwirtschaftlicher Hinsicht signifikante) Tradition des Music Information Retrieval (MIR) in Sektion A verdeutlicht. „Das Digitale“ hat in unterschiedlichsten Bereichen Einzug gehalten und spielt auch in der künstlerischen Praxis sowie im Bereich von Medientheorie und -ästhetik eine zentrale Rolle. Damit sind auch die Gegenstände der Forschung selbst – Musik, Musikkultur, Kommunikation über Musik usw. – „digital“ geworden und erfordern neue Herangehensweisen. Wenn der Computer selbst zum Instrument oder zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung wird, kann dies zu einer grundsätzlichen Reflexion über Wesen und Ziele des digitalen Umbruchs beitragen, was angesichts vieler vollmundiger Versprechungen in Politik und Wirtschaft dringend nottut. Das abschließende Panel stellt die künstlerische wie forschende Interaktion mit dem Computer in den Mittelpunkt, fragt nach den Möglichkeiten und Konsequenzen von Sensorik und Interfaces und nach der Bedeutung und Beschaffenheit der digitalen Daten und Spuren, die durch Interaktion gewonnen und hinterlassen werden.

C.      Kodierung/Analyse                                        

Historisch erfolgte der Zugang zu Objekten musikwissenschaftlicher Forschung in der Regel durch das „Aufsuchen“ dieser Gegenstände in ihrem Kontext (Handschriften in Bibliotheken, erklingende Musik in Konzerten, Texte als Buch) sowie durch die Benutzung von Reproduktionen. Neben „analoge“ (reprofotographische bzw. phonographische) Repräsentationen traten dabei im Laufe der Geschichte immer neue Formen bis hin zu den heute vornehmlich digitalen. Während erstere nicht ohne Weiteres außerhalb der ursprünglichen Zweckbestimmung nutzbar sind, schaffen erst digitale Repräsentationen (oft vereinfacht „Daten“ genannt) solche (teils) kontextunabhängigen Verarbeitungs- und damit Analysemöglichkeiten. Die Kodierung (als Überführung der Objekte in beschreibend dokumentierende und zugleich prozessierbare Sprachen) erlaubt rechnergesteuerte, gezielte Zugriffe auf Details und damit deren Selektion, Umstrukturierung, Neuordnung oder auch Analyse. Bevorzugt werden dabei – auch zu Archivierungszwecken – strukturierte Sprachen wie XML, TEI oder MEI eingesetzt, doch sind inzwischen in der Informatik auch Methoden zur Analyse unstrukturierter Daten etabliert. Wie verändern sich unter solchen Vorzeichen Selbstverständnis und Arbeitsfelder des Archivs? Welchen Bedingungen sind Datenarchive, -bestände oder -korpora unterworfen, um datenanalytischen Verfahren zugänglich zu sein?

D.     Infrastrukturelle Perspektiven                 

Sinnvolles digitales Arbeiten setzt Infrastrukturen voraus, die individuelle und kooperative Arbeitsprozesse unterstützen, Erkenntnisse langfristig und nachhaltig sichern und zugänglich halten – über die Grenzen des eigenen Arbeitsplatzes, Instituts oder einer Universität hinaus. Das Schlagwort von der Vernetzung der Forschung bestimmt aktuelle Diskussionen ebenso wie die Debatte über die Notwendigkeit einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), die gerade in diesem Jahr vehement geführt wird. Welche Rolle können Hochschul- oder übergreifende Rechenzentren spielen, welche Rolle sollten die Forschungsförderer und Akademien einnehmen? Wie ändern sich fachliche Forschungsperspektiven durch digital gestützte Methoden, durch neue Publikationsformen zur Verfügbarmachung von Forschungsdaten und durch die Möglichkeit der Einbindung in neue Forschungskontexte?

Referent*innen

  • Prof. Dr. Reinhard Keil, Universität Paderborn
  • Prof. Dr. Frans Wiering, Universiteit Utrecht
  • Prof. Dr. Aristotelis Hadjakos, Hochschule für Musik Detmold
  • Jun.-Prof. Dr. Miriam Akkermann, Technische Universität Dresden
  • Dr. phil. Shintaro Miyazaki, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
  • Prof. Dr. Christine Siegert, Archiv des Beethoven-Hauses Bonn
  • Prof. Dr. Axel-Cyrille Ngonga Ngomo, Universität Paderborn
  • Prof. Dr. Gudrun Oevel, Universität Paderborn
  • Prof. Dr. Ulrich Konrad, Universität Würzburg

(Detaillierter Ablaufplan, Vortragstitel und Abstracts siehe Programmheft ab S. 82.)

Posterpräsentation der Fachgruppe Digitale Musikwissenschaft

Im Zusammenhang mit dem Hauptsymposium findet im Foyerbereich vor dem Hörsaal ganztägig die Posteraustellung der GfM-Fachgruppe Digitale Musikwissenschaft zu zahlreichen aktuellen digitalen Forschungsprojekten statt (siehe Programmheft ab S. 273). In der Kaffeepause um 10:30 Uhr sowie am Nachmittag zwischen 15:30 und 16:30 Uhr ist Gelegenheit, persönlich mit den Postergestalter*innen in Austausch zu treten.