Das Musikwissenschaftliche Seminar trauert um seinen langjährigen Kollegen, Prof. Dr. Werner Keil. Ein Nachruf
Geboren 1952 in Moers am Niederrhein, studierte Werner Keil von 1972 bis 1979 Musik für das Lehramt an Gymnasien an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main sowie Musikwissenschaft und Mathematik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Danach ging er zunächst in den Schuldienst und schrieb parallel zu seiner Tätigkeit als Studienrat sowie als Lehrbeauftragter am Dr. Hoch’schen Konservatorium Frankfurt seine Dissertation Untersuchungen zur Entwicklung des frühen Klavierstils von Claude Debussy und Maurice Ravel. Direkt nach der Promotion 1982 wurde er Akademischer Rat an der Universität Hildesheim, wo er sich nur vier Jahre später mit einer Arbeit über E. T. A. Hoffmann als Komponist habilitierte. 1992 wurde er dort zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1997 folgte er dem Ruf auf die Professur für Historische Musikwissenschaft am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2018 innehatte. Viele Jahre war er Geschäftsführender Leiter des Musikwissenschaftlichen Seminars.
Neben der Dissertations- und der Habilitationsschrift verfasste Werner Keil zahlreiche Aufsätze und eine Reihe Monographien: Im Geisterreich des Unendlichen: Ein Streifzug durch die Musik des 19. Jahrhunderts (Hildesheim 2000), Dissonanz und Harmonie: in Romantik und Moderne (Paderborn 2012) sowie gemeinsam mit Philipp Heitmann und Andreas Fukerider Versunkenes 20. Jahrhundert: Musik und Musikwissenschaft jenseits des Mainstreams (Hildesheim 2016). Aus seiner Lehrtätigkeit gingen die Basistexte Musikästhetik und Musiktheorie (Paderborn 2007) sowie seine Musikgeschichte im Überblick (Paderborn 2012) hervor. Die von ihm 1995 begründeten Hildesheimer musikwissenschaftlichen Arbeiten, ab 1999 weitergeführt als Diskordanzen: Studien zur neueren Musikgeschichte umfassen insgesamt 16 Bände, darunter mehrere Berichte zu wissenschaftlichen Symposien, die Werner Keil organisierte. Auch betreute er zahlreiche Promotionen und war zugleich Mentor in den Habilitationsverfahren von Jürgen Arndt und Stefanie Acquavella-Rauch, die inzwischen beide musikwissenschaftliche Professuren innehaben.
Werner Keils musikwissenschaftliche Forschung war breit gestreut, mit zwei besonderen Schwerpunkten. Zum einen befasste er sich umfassend mit der Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Neben dem Impressionismus und der Schönberg-Schule galt sein besonderes Interesse Komponisten aus dem Umfeld von Stefan George, wie Cyril Scott oder Conrad Ansorge. Weiterhin galt Keil spätestens seit seiner Habilitation als ausgewiesener Experte für die Musik und Musikästhetik der Frühromantik und Romantik.
Als Mensch, Wissenschaftler und Hochschullehrer war Werner Keil zuvörderst und zutiefst an der Musik interessiert, an der Musik als kompositorischer Kunst und als kulturell und geistesgeschichtlich so zentralem und umfassendem, dabei zugleich in Wesen und Wirkung so unfasslichem und unergründlichem Phänomen. So begeisterte er Woche für Woche in Vorlesungen, Seminaren, Kolloquien und nicht zuletzt in ausführlichen Sprechstunden und Flurgesprächen die Studierenden und Promovierenden für sein Lebensthema. Überall auch in seinem wissenschaftlichen Œuvre meldet sich freundlich ein unbedingter Anspruch auf eine gelingende Verständigung über Musik: Die Sprache, in der über Musik gesprochen wird, das Denken, das Musik und ihre Ästhetik zu fassen sucht, treten als Themen auf, die der Musik ebenbürtig sind. Werner Keils Forschen war nicht an der Oberfläche, sondern im Kern interdisziplinär, indem es Philosophie, Literatur, Komposition a priori auf eine Stufe stellte. Dies spiegelt sich in der literarischen Höhe seines eigenen Schreibens, die von einer ganz unverwechselbaren Prägnanz und Präzision der Formulierung gekennzeichnet ist. Als Essenz aus jahrzehntelanger Lese- und Verstehensarbeit an der Musik lässt sich das Werk Dissonanz und Harmonie lesen. Hier erlebt man Werner Keil als gewieften Leser und Analytiker; man erlebt fasziniert, wie ihm die Frage nach den philosophisch-ästhetischen und geschichtsphilosophischen Prämissen des Übergangs der Musik aus dem Handwerklichen in die Transzendenz, der sich mit der Romantik ereignet und in der Moderne fortdauert, keine Ruhe ließ; man folgt ihm in unerwartete, bislang wissenschaftlich überhaupt nicht ausgeleuchtete Gassen und Winkel philosophischer Systeme von der Antike und den Gnostikern über Hoffmann, Schopenhauer und die Theosophie bis hin zu Adorno.
Am 25. August 2025 ist Werner Keil nach langer Krankheit im Alter von 72 Jahren verstorben. Das Musikwissenschaftliche Seminar wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.